синее черное море
Ялта
© 2005
“Wenn du am Ufer stehst, siehst du nur Wasser soweit das
Auge reicht!“,
Kolka
ist im Sommer mit seinen Eltern auf der Krim gewesen und erklärte uns wie das
Meer funktioniert. In Taschkent, der Hauptstadt der usbekischen Enklave der
Union, wusste man als Zweitklässler nur rein theoretisch was ein Meer ist: das
größte Wasservorkommen, das wir in der usbekischen Sommerhitze zu sehen und
spüren bekamen, war die dunkelgrüne Brühe des Textilkombinat-Schwimmbades, stets
gefüllt mit Kinderkörpern und Darmgrippe-Erregern. Ein Meer hingegen war verlockend
und unglaubwürdig. „Gar keine Berge am anderen Ufer?“ – fragte ich den fast
schwarzgebräunten Kolka zweifelnd. „Blaues Wasser bis zum Horizont!“, bestätigte
er. Ich war neidisch auf Kolka und beschloss auch auf die Krim zu fahren. Das
schwarze Meer, der einzige subtropische Badeort der gesamten Sowjetunion wurde
zum Ort meiner Sehnsucht, dem Ziel meines Fernwehs. Doch meine Familie gehörte
nicht zu den Privilegierten. Eine von den Gewerkschaften ausgeschriebene Reise
stand nicht in Aussicht und für Erkundung der Krim auf eigene Faust reichte
das Geld nicht. Meine Hoffnung, als beste Schülerin und Schulsprecherin in das
Pionierlager „Artek“ geschickt zu werden, zerbrachen, als eine „Putjovka“ –
eine Prämie in Form einer Reise – statt meiner die Tochter der Schulleiterin
bekam. Jahre vergingen und das blaue Schwarze Meer rückte nicht näher. Als ich
16 war, emigrierte meine Familie nach Deutschland, und die Krim, der Ort meiner
Kinderträume geriet in Vergessenheit. Von der plötzlichen Reisefreiheit berauscht,
entdeckte ich den Westen und Süden Europas, die „Perle am Schwarzen Meer“ wurde
von der spanischen Riviera verdrängt. Als ich vor einiger Zeit Katrin kennenlernte
und ihre Fotos von der Krim sah, tauchte der noch nie gesehene Ort der Kinderträume
auf einmal in meinem Gedächtnis auf. „Das soll die Krim sein?“ fragte ich mich
auf Katrins Ausstellung, zwischen Faszination und Ernüchterung schwankend. Die
Menschen und Orte, die sie in Bildern festhielt, erzählten Geschichten die nostalgisch
wie auch befremdlich auf mich wirkten, Erinnerungen und Neugierde entfachten.
Eine Erinnerung von Katja Garmasch (*1978 in Taschkent, Usbekistan)